Kapitel 1 : Im Silbernen Goblin

Rahne hatte darauf verzichtet, daß große Dampfbad des Badehauses aufzusuchen und sich stattdessen dafür entschieden, sich in einem der Zubergewölbe des Hauses zu entspannen.
Sein Hab und Gut war sicher in einem Schrank im Umkleidegemach verwahrt und nun saß er in einem geräumigen Zuber, genoss die Wärme des Wassers, den Duft des Badeöls und die Ruhe.
Nur wenige andere Gäste befanden sich in dem Zubergewölbe und waren vom dichten Dampf, der in dem Raum hing, nahezu verborgen.
Rahne hatte sich von einer der Bediensteten, die sich um das Wohlergehen der Gäste kümmerte, einen Kelch Kirschwein bringen lassen; eine Massage jedoch abgelehnt.
Als er sich in dem heißen Wasser entspannte, schmerzte die kreisrunde Narbe an seinem Unterarm leicht; wie immer, wenn sie Hitze ausgesetzt war.
Der Wein, der Duft des Badeöls und das gleichmäßige Gemurmel der anderen Gäste trugen zu seiner zunehmenden Entspannung bei und der junge Thalisier begann gerade zu dösen, als sich der Vorhang zum Umkleidegemach öffnete und ein neuer Gast von einer der bornesischen Bediensteten in den Raum geführt wurde.
Aufmerksam aber diskret musterte Rahne den Neuankömmling, der in seinen Augen von außergewöhnlicher Erscheinung war. Die überwiegend blassgrüne Haut des kräftigen Mannes war von rostfarbenen Flecken übersäht.
Der breite, kahle Schädel des Neuankömmlings zeichnete sich durch einen kräftigen Kiefer aus. Große Zähne lugten zwischen wulstigen Lippen hervor und seine Ohren waren lang und spitz zulaufend; ähnlich denen der Elfen, deren Bilder Rahne in den verbotenen Büchern des Klosters gelegentlich heimlich betrachtet hatte.
Am meisten beeindruckten ihn die leuchtend gelben Augen des Mannes, dessen stechender Blick für einen Augenblick den seinen kreuzte, als er sich im Zubergewölbe umsah.
Seit er Vandelari verlassen hatte, war Rahne schon einigen dieser menschenähnlichen, barbarischen Völker begegnet, die die Reiche Angraenors außerhalb seines Heimatlandes bewohnten.
Doch noch immer faszinierten ihn diese Geschöpfe, die von den Priestern des Verkünderordens stets als gottlose Wilde beschrieben wurden.
Doch zu dem Volk der Hobgoblins, das auf vielen der Schiffe auf Angraenors Meeren anzutreffen war, schien dieser Mann nicht zu gehören.
War er ein Ork?
Bisher war Rahne davon ausgegangen, daß die Orks eines jener Völker waren, das nur allzu sehr den Beschreibungen der Priester entsprach; wild, primitiv und blutrünstig.
Das ein Ork ausgerechnet in dem Badehaus einer so zivilisierten Stadt wie Glazuria auftauchte, passte ganz und gar nicht in Rahnes Weltbild und weckte seine Neugier.
Bai beachtete den hageren, blonden Jüngling kaum, der in dem Zuber neben ihm hockte und verstohlen zu ihm hinüber schaute.
Er stieß einen Seufzer der Zufriedenheit aus, als er sich in das heiße, duftende Wasser sinken ließ und lehnte sich entspannt zurück.
Es war eine gute Idee, nach all’ den Wochen auf der staubigen Straße das Badehaus aufzusuchen und sich von dem Dreck der Reise zu befreien.
Er genoss die Massage der Bornesin und verscheuchte die unangenehmen ersten Eindrücke Glazurias aus seinen Gedanken.
Nach dem Bad würde er sich ein anständiges Gasthaus suchen, ein gutes Essen zu sich nehmen und sich von den Strapazen der Reise erholen.
Und dann würde er damit beginnen, ernsthaft nach Gaslo zu suchen.
Wenn das stimmte, was er den zwielichtigen Gestalten im Hafen von Pelessia mit einer Mischung aus Goldmünzen und Gewaltandrohungen entlockt hatte, war das Miststück vor nicht allzu langer Zeit von dort nach Glazuria gesegelt; auf einem Schiff, das zumindest zur Hälfte ihm gehörte.
Doch damit wollte er sich vorerst nicht beschäftigen.
Nachdem die Bedienstete die Verspannungen in seinem Rücken mit einer gekonnten Massage gelöst hatte, ließ er sie einen Krug Met bringen und schickte sie fort.
Bai schloss die Augen, genoss den kräftigen Alkohol, der seinen Kopf angenehm leicht machte und war gerade im Begriff, einzunicken, als er die Stimmen hörte.

„Ich kann diesen Gestank nicht ertragen!“, hörten seine scharfen Ohren einen Mann sagen, der ein Stück entfernt gemeinsam mit einem Begleiter in einem der größeren Zuber saß.
„Nicht mal in einem kultivierten Haus wie diesem hier hat man vor dem Abschaum seine Ruhe.“.
Bai öffnete seine Lider einen Spalt und sah die beiden Männer, die durch die Dampfschwaden zweifellos in seine Richtung starrten.
Es waren Gwandalier mit akkurat gestutzten Bärten und geöltem Haar, das zu ordentlichen Zöpfen gebunden war.
„Es ist eine Schande, daß dieses Pack überhaupt hier hinein gelassen wird“, entgegnete der zweite Mann brüskiert, „zumindest das Badehaus sollte uns Menschen vorbehalten bleiben.“.
Bai schloss wieder die Augen und versuchte, die Schmähungen dieser Männer zu ignorieren, doch dann ertönte ein Plätschern, gefolgt von dem Geräusch nackter Füße auf dem Marmorboden.
Als Bai die Augen wieder öffnete, sah er die beiden Männer vor seinem Zuber aufragen, die ihn mit geringschätzigen Blicken musterten.
Er schätzte beide auf Mitte zwanzig. Ihre gepflegten Frisuren und manikürten Nägel gaben sie als wohlhabend zu erkennen; möglicherweise waren sie auch Sprösslinge einer Adelsfamilie.
Obwohl beide nicht schmächtig waren, konnte Bai an ihren Muskeln und an ihren Bewegungen erkennen, daß diese beiden keine Kämpfer waren und sich allerhöchstens mit Fechterei oder anderen Ertüchtigungen der Obrigkeit in Form hielten.
„Solche wie Dich haben wir hier nicht gern!“, verkündete der Erste der beiden Männer. „Abschaum wie Du sollte im Hafenbecken baden oder gleich unter seinesgleichen bleiben.“.
„Wir fühlen uns durch Deine Gegenwart belästigt und Dein Gestank ist unerträglich.“, fügte der Zweite hinzu.
Mit abfälligen Blicken starrten die Männer Bai an.
„Dein Anblick widert uns an“, griff der Erste die Worte seines Gefährten auf, „und verdirbt uns den Tag.“. Der zweite Mann nickte zustimmend und bemühte sich, eine einschüchternde Pose einzunehmen.
„Ist das so?“, entgegnete Bai kalt und warf beiden einen stechenden Blick zu.
Rahne, der den Wortwechsel an dem gegenüberliegenden Zuber neugierig verfolgte, spürte plötzlich und unvermittelt den Anflug einer Gänsehaut.
Zufrieden bemerkte Bai, wie der Zweite der beiden Männer einen Schritt zurück machte und sein vormals abfälliger Blick einem Anflug von Beunruhigung wich.
„Ja, das ist so!“, spuckte sein Gefährte unbeeindruckt aus.
Ungezügelter Groll zeichnete sich auf den Zügen des Gwandaliers ab.
„Gesindel wie Du hat hier nichts zu suchen, verstanden?“.
Bai schwieg und starrte die Männer weiter an.
Sein Gefährte legte dem aufgebrachten Gwandalier eine Hand auf die nackte Schulter und flüsterte: „Komm’, Mustryl, lass’ uns ein Auge zudrücken. Ich bin sicher, der Wilde hat uns verstanden…“.
„Das glaube ich nicht!“, entgegnete der Mann, der Mustryl genannt wurde, nun deutlich aufbrausender.
„Dein Bad ist vorbei, Goblin-Bastard!“, rief er, daß es von den getäfelten Wänden widerhallte, „steh’ auf und geh’, bevor Du meinen Zorn spürst!“.
Mit einem Seufzen erhob sich Bai, ohne seinen kalten Blick von den Männern abzuwenden.
Aufrecht stehend überragte er beide Gwandalier um mehr als einen ganzen Kopf.
„Komm jetzt, Mustryl“, sagte der nun deutlich nervöse Gefährte und versuchte, seinen Kameraden fort zu ziehen.
Das Wasser rann über Bais Leib, als er, nackt wie die Götter ihn erschaffen hatten, vor den Männern stand.
„So ist’s gut, Abschaum“, knurrte Mustryl - das Drängen seines Gefährten ignorierend - mit einem selbstgefälligen Grinsen, „geh’ und lass’ Dir nicht einfallen, hier wieder aufzutauchen!“.
Rahne zuckte in seinem Zuber zusammen, als die Faust des Ork in einer blitzschnellen Bewegung vor schnellte und Mustryl direkt ins Gesicht traf. Knirschend brachen Nase und Jochbein des Gwandaliers, der sofort bewusstlos zu Boden ging.
Rahne konnte aufgeregte Rufe und Planschen hören, als andere Gäste angesichts des unerwarteten Gewaltausbruchs schleunigst aus ihren Zubern sprangen und die Flucht ergriffen.
Mustryls sichtlich erschrockener Gefährte machte einen Satz nach vorn und hob die Faust, um dem Ork ebenfalls einen Fausthieb zu verpassen.
Rahne erschauerte leicht, als die arkane Magie mit einem Knistern aus seinem Leib entwich.
Mit Staunen sah Bai, wie der Angreifer plötzlich von einer Benommenheit überkommen wurde und in seinem Schlag inne hielt.
Bais Fuß traf den Mann direkt auf die Brust, so daß er rückwärts auf die nassen Fliesen krachte und gegen die Wand rutschte, wo er ebenfalls regungslos liegen blieb.
„Bastarde…“, fluchte der Ork grollend.
Dann schaute Bai zu dem blonden Jüngling hinüber, der ihn mit großen Augen anschaute.
„Was war das gerade?“, fragte der Ork mit seiner dunklen, kratzigen Stimme, „Magie?“.
„Nichts“, entgegnete Rahne mit einem unschuldigen, leicht verunsicherten Lächeln und musterte weiter den tropfenden Ork.
„Ich bin lediglich kein großer Freund von solchen Ungerechtigkeiten…“.

Terzon war leicht verwundert, eine Gruppe tropfender Gäste im Foyer des Badehauses anzutreffen, die sich lautstark über eine Prügelei im Zubergewölbe beschwerten.
Beschwichtigend redete eine der bornesischen Bediensteten auf die Gäste ein, während ein fetter Hüne sich aufmachte, um nach dem Rechten zu sehen.
Terzon zahlte ein paar Silbermünzen und wandte sich dem Umkleidegemach zu. Eigentlich hatte er sich im Dampfbad entspannen wollen, doch die aufgebrachten Gäste hatten seine Neugier entfacht und ein heißer Zuber würde es auch tun.
Er war gerade dabei, sich seiner Kleider zu entledigen und zu verstauen, als er durch den Vorhang, hinter dem das Zubergewölbe lag, einen Wortwechsel hören konnte.
„Sie haben mich beleidigt“, hörte er eine dunkle Stimme erklären, „und provoziert. Sie haben den Ärger selbst herauf beschworen.“.
„Das kann ich nur bestätigen!“, ergänzte eine andere, deutlich hellere Stimme.
Als Terzon mit einem Handtuch um die Hüften das dampfgefüllte Zubergewölbe betrat, sah er sich einer merkwürdigen Szenerie gegenüber. Zwei Männer hockten in gefüllten Zubern und redeten auf den fetten Bornesen ein, der gerade dabei war, zwei blutende, wimmernde Männer am Schopf auf die Beine zu zerren.
Das Gesicht des einen war mit Blut verschmiert und seine Nase ragte in einem unnatürlichen Winkel zur Seite, während der Andere eine blutende Platzwunde am Hinterkopf hatte.
„Dann verzeiht die Unannehmlichkeiten, werte Herren“, sagte der Bornese, während er die verletzten Männer unsanft in Richtung des Vorhangs zerrte, den Terzon aufhielt, um ihn durchzulassen.
„Ich werde euch weitere Getränke auf Kosten des Hauses servieren lassen und hoffe, daß ihr über diesen Zwischenfall hinweg sehen könnt“, sagte der Hüne mit einer Verbeugung, bevor er verschwand.
Terzon wandte sich einem Zuber zu, der neben denen der beiden Männer stand und gerade von zwei bornesischen Bediensteten mit heißem Wasser gefüllt wurde.
Eine dritte Angestellte wischte eilig die Lache von Blut auf, die eine Ecke des Raumes bedeckte, während eine Vierte zwei Kelche mit Getränken brachte, die sie den beiden Badegästen mit mehreren Verbeugungen servierte.
Die beiden Männer waren ein seltsames und überaus ungleiches Paar.
Der eine war ein kräftiger Ork mit harten, ungehobelten Zügen und leuchtend gelben Augen, während der andere ein schmächtiger, blonder Thalisier war; kaum dem Jungenalter entwachsen.
Beide musterten ihn, als Terzon sich in dem heißen Wasser niederließ.
„Seid gegrüßt, meine Herren!“, sprach Terzon die Männer mit einem charmanten Lächeln an, „mir scheint, ihr hattet hier Ärger zu erdulden.“.
Eine der Bediensteten servierte Terzon einen Kelch mit edlem Ganeordini, einem erlesenen Rotwein, der auf den Hängen von Gvanifay gekeltert wurde.
„Nicht die Rede wert“, brummte der Ork und lehnte sich in seinem Zuber zurück, der gerade mit frischem Wasser gefüllt wurde.
„Er hat diesen ungehobelten Burschen eine zünftige Abreibung verpasst!“, bemerkte der Junge begeistert und schaute zu dem Ork hinüber, der gleichgültig abwinkte.
„In Glazuria scheint man dem Ärger nicht aus dem Weg gehen zu können, wenn man kein Mensch ist“, brummte Bai und nahm einen Schluck aus seinem Kelch.
Terzon hatte von der Engstirnigkeit der Leute hier gehört.
In Gvanifay sprach man schon seit Monaten angewidert von den Rassenkonflikten, die in der großen Hafenstadt tobten.
„Seid ihr nicht von hier?“, fragte der dunkelhaarige Mann mit einem jovialen Lächeln. Beide Männer schüttelten den Kopf, schienen aber nicht daran interessiert, über ihre Herkunft zu sprechen.

Man lehnte sich zurück, genoss die Hitze des Wassers und die wieder eingekehrte Ruhe.
Bis auf zwei ältere Männer, die ein Stück entfernt in einem Zuber hockten, war das Gewölbe leer. Man konnte hören, wie die beiden Männer sich über die jüngsten Ereignisse in der Stadt austauschten.
„Ich habe gehört, daß das Goldene Geschwader gestern die Seehure aufgebracht hat“, erwähnte einer der Männer, was der andere mit einem Brummen quittierte.
Sowohl Terzon als auch Bai spitzten die Ohren, während sie mit geschlossenen Augen in ihren Zubern hockten.
„Wie ich hörte, hat das Geschwader sich dort aber nicht mit Ruhm bekleckert. Einige der Halunken waren nicht mal an Bord, als das Schiff gestürmt wurde.“.
„Mag sein“, entgegnete der Erste, „aber Piraten ohne Schiff werden der Stadt vorerst nicht gefährlich werden. Immerhin hat das Geschwader die Seehure unschädlich gemacht, oder? Ein Piratenschiff weniger, das die See unsicher macht! Darauf kommt’s an. Wir sollten froh sein, daß der Erzherzog so gnadenlos dieses Gesindel zur Strecke bringt, andernfalls würde sich der Seehandel bald nicht mehr lohnen.“.
Der Gesprächspartner signalisierte mit einem Brummen seine Zustimmung und dann wechselte das Gespräch zu den Entwicklungen auf den Märkten der Stadt und zu einer Diskussion über den gegenwärtigen Preis für pasadrische Seide.

„Ich bin auch gerade erst angekommen“, unterbrach Terzon schließlich, den beiden Fremden neben ihm zugewandt, das Schweigen, „und ebenfalls zum ersten Mal in dieser Stadt. Die letzten Monate habe ich auf See verbracht.“.
„Genau wie ich!“, antwortete der junge Mann, der der Redeseligere der beiden zu sein schien, „ich habe die letzten zwei Jahre als Harpunier auf einem Walfänger verbracht.“.
Der Ork warf dem Jüngling einen überraschten Blick zu und Terzon schloss daraus, daß diese beiden Männer sich ebenfalls kaum kannten.
„Habt ihr gehört, daß die Gilde der Überseefahrer anheuert?“, fragte der Thalisier. „Sie sollen gutes Geld bezahlen!“.
„Gutes Geld?“. Terzon lachte, was ihn einem irritierten Blick des Jünglings einbrachte.
„Vielleicht, wenn ihr euch als Kapitän verdingt“, spottete der dunkle, gut aussehende Mann.
„Einfachen Seeleuten werden sie, wie überall, einen Hungerlohn zahlen und erwarten, daß man für die paar Kröten sein Leben aufs Spiel setzt und Tag und Nacht schuftet.“.
Rahne war verwundert über die hochtrabenden Worte des Fremden.
„Auf dem Walfänger haben sie zumindest anständig bezahlt…“, entgegnete er etwas kleinlaut. „Ich konnte mich nicht beklagen.“.
Terzon lächelte.
Der Knabe schien noch grün hinter den Ohren zu sein.
Seine Naivität war erfrischend. Allerdings würde er einige harte Lektionen zu lernen haben, wenn er sich weiter so blauäugig durch die Welt bewegte.
„Und ihr?“, wandte sich Terzon dem Ork zu, der schweigend trank, „womit verdient ihr euren Lebensunterhalt?“.
„Ich bin Kurier“, antwortete Bai knapp und schaute den Fremden an.
Der Mann war von ausgesuchter Freundlichkeit, allerdings auch leicht überheblich. Mit seinem gewinnenden Lächeln, seinen übertriebenen Gesten und der Theatralik, mit der er seinen Wein schlürfte, wirkte er, als halte er sich für den König der Welt.
„Ist das ein erträgliches Geschäft?“, fragte Terzon; den prüfenden Blick des Orks ignorierend. Bai zuckte mit den Schultern.
„Kommt ganz drauf an, was man transportiert“, antwortete er.
Er verspürte wenig Lust, den Fremden in Details über seine teilweise nicht ganz legalen Unternehmungen einzuweihen.
„Nun, ich zumindest habe der Seefahrt abgeschworen“, erklärte Terzon mit einem Grinsen, „und ich habe vor, mich weitaus lukrativeren Unternehmungen zuzuwenden! Ich erwarte mehr vom Leben, als mich für Hungerlöhne von ungehobelten Kapitänen scheuchen zu lassen.“.
„Lukrativere Unternehmungen?“, fragte der Thalisier interessiert.
„Und angenehmere!“, ergänzte Terzon.
Das Interesse an seinen Worten war dem Jungen deutlich anzusehen und auch der Ork wirkte nicht desinteressiert, auch wenn er es besser verbarg. Möglicherweise waren die beiden durchaus geeignet ihm bei den Unternehmungen zur Hand zu gehen, die er in Betracht zog.
Der Junge war von außergewöhnlicher Schönheit und ihm fielen spontan mindestens ein Dutzend einflussreicher Personen aus Gvanifay ein, die ihn als Lustknaben nicht von der Bettkante stoßen würden.
Sein blondes Haar war fast golden und er hatte eine schlanke, anmutige Gestalt und ebenmäßige Züge.
Seine Augen waren von einem fast unnatürlichen Blau und es war fast, als ginge von dem Knaben ein Leuchten aus.
Nicht daß Terzon es in Betracht zog, unter die Zuhälter zu gehen, doch es war nicht verkehrt, jemanden bei sich zu haben, der die Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Ork schien eher ein Mann fürs Grobe und es war stets von Wert, jemanden dieses Schlages im Rücken zu wissen.
Doch, die zwei wirkten viel versprechend.

„Aber heute will ich vom Geschäftlichen noch nichts wissen!“, erklärte Terzon und bemerkte zufrieden einen Anflug von Enttäuschung auf dem Anlitz des Jungen. Die Miene des Orks wirkte weiterhin unergründlich; selbst für Terzons geschultes Auge.
„Ich war drei Monate auf See!“, verkündete Terzon, „und heute Abend will ich Glazurias Nachtleben in vollen Zügen genießen! Wein, Weiber, Glücksspiel; heute nehm’ ich alles mit, was sich anbietet! Ich brauche dringend ein paar Vergnügungen nach dieser Tortur! Und ihr, zieht ihr auch um die Häuser?“.
Der Ork zuckte mit den Schultern, schien dem Gedanken jedoch nicht völlig abgeneigt zu sein.
Der junge Thalisier wirkte allerdings etwas verlegen.
„Glücksspiel?“, fragte er, „und Weiber? Meint ihr etwa Huren?“.
Terzon lachte laut.
„Natürlich!“, erwiderte er, „meine Zeit ist zu kostbar, um eitlen Damen den Hof zu machen! Sagt bloß, ihr vergnügt euch nicht gelegentlich in einem feinen Bordell?“.
Die Röte, die dem Jungen in die Wangen stieg, war Terzon Antwort genug. Selbst der Ork grinste, als er die Verlegenheit des Jünglings bemerkte.
„Wisst ihr, ich war lange auf See…“, stotterte Rahne, „ich habe…also, ich konnte nicht…“.
Terzon schüttelte lachend den Kopf. „Wollt ihr sagen, daß ihr noch nie eine zünftige Sauftour gemacht habt? Unfassbar! Wie alt seid ihr denn, wenn ich fragen darf?“.
„Siebzehn…“, murmelte Rahne und musterte die Männer, die ihn angrinsten. Auf seiner Reise hatte er es, wenn möglich, aus gutem Grund vermieden, in Häfen an Land zu gehen und jetzt schienen sich diese Männer – beide deutlich älter als er – auch noch über ihn lustig zu machen.
„Nun, was haltet ihr dann davon, mich heute Abend zu begleiten, meine Herren?“, fragte Terzon in einem versöhnlichen Tonfall.
„Ich bin sicher, daß wir eine Menge Spaß haben werden!“.
„Euer Vorschlag klingt verlockend“, sagte Bai.
Zwar wirkte der Fremde etwas geckenhaft, dennoch war er ihm nicht unsympathisch. Eine willkommene Abwechslung zu den Bekanntschaften, die er bisher in dieser Stadt gemacht hatte.
„Zuerst muss ich mir allerdings eine anständige Bleibe suchen“, fügte er hinzu.
„Ich auch“, sagte der blonde Thalisier, der die freundliche Neckerei der älteren Männer mittlerweile verwunden hatte.
„Nun, ich habe ein anständiges Gasthaus gefunden“, bemerkte Terzon, „das ich euch nur empfehlen kann!“.
Terzon hatte sich in einem Gasthof eingemietet, der sich Zum Gewaschenen Walfänger nannte. Wie immer hatte er dort ein Zimmer mit Blick auf die Straße gemietet. Der Wirt, ein älterer Hügelzwerg, wirkte höflich und diskret und hatte auch auf seine ungewöhnlichen Sonderwünsche nicht erstaunt reagiert; ganz so, wie Terzon es mochte.
„Das Gasthaus klingt, als wäre ich dort willkommen“, bemerkte Rahne grinsend und Terzon lachte fröhlich.
Das entwickelte sich hier alles ganz nach seinem Geschmack.
„Nun, warum begleitet ihr mich dann nicht einfach?“, schlug er vor, „und hinterher schauen wir uns ein wenig in den Tavernen der Stadt um.“.
Die beiden Männer stimmten zu.
„Nun, dann lasst mich euch meinen Namen verraten“, sagte Terzon, beugte sich über den Rand des Zubers und streckte seinen neuen Bekannten die Hand entgegen. „Man nennt mich Terzon!“.
„Bai Khordor“, antwortete der Ork knapp und schüttelte dem dunkelhaarigen Fremden die Hand.
„Mein Name ist Borus“, sagte der Blonde zögerlich zu den Männern und reichte ihnen ebenfalls die Hand.
Die Männer waren freundlich und wirkten nicht, als würden sie eine Gefahr darstellen, doch er konnte es nicht riskieren, seinen wahren Namen zu offenbaren.
„Ihr kommt nicht von hier, oder?“, fragte Terzon, „woher stammt ihr?“.
Ein Anflug von Verunsicherung huschte über die Züge des Jungen.
„Aus dem Norden“, antwortete er zögernd, „aus Vandelari“.
Terzon war erstaunt.
Für seine jungen Jahre schien der Thalisier schon weit herum gekommen zu sein. Er selbst kannte Vandelari nur aus den Erzählungen reisender Händler, die es als finsteres Reich beschrieben, das von langen Wintern und verregneten Sommern geplagt wurde und in dem der radikale Orden der Verkünder mit eiserner Faust regierte.
Fremde waren dort nicht willkommen und erst recht keine, die von nicht-menschlichem Blut waren.
Gegen Vandelari war Glazuria geradezu eine Hochburg der Toleranz. Nun, der Junge schien nicht auf den Kopf gefallen, wenn er dieser unwirtlichen Heimat bereits in jungen Jahren den Rücken zugewandt hatte.
Terzon schenkte dem Thalisier ein anerkennendes Lächeln.
„Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen, werte Herren!“.

Nachdem die Kelche gelehrt und das Wasser in den Zubern abgekühlt war, kleideten die Männer sich an und verließen das Badehaus.
Terzon musterte diskret seine Gefährten.
Auch wenn der Jüngling nicht gerade kräftig war, so trug er doch einen Streitkolben und ein Entermesser am Gürtel; außerdem eine Militärflinte auf dem Rücken. Letzteres galt auch für den Ork, der ansonsten jedoch völlig unbewaffnet erschien. Nun, dafür hatte der Ork im Badehaus gezeigt, daß man sich auch vor seinen Fäusten in Acht zu nehmen hatte.
Seine potentiellen Gefährten schienen also fähig, sich im Notfall zu verteidigen.
Rahne betrachtete Terzon neugierig, als sie in die warme Nachmittagssonne hinaus traten. Der gesprächige Fremde trug Kleider wie ein Mann von Welt, die auf den ersten Blick so gar nicht zu einem passen wollten, der gerade Monate als einfacher Matrose gedient hatte.
Terzon schien ein Mann zu sein, der gern auf großem Fuß lebte.
Außerdem trug er einen langen, in Segeltuch geschlagenen Gegenstand auf dem Rücken, auf den der neugierige Rahne sich keinen Reim machen konnte. Und der Ork hatte eine merkwürdige Aura.
Er war zweifellos sympathisch, doch irgendwas ließ ihn schaudern, sobald der Blick aus den stechenden, gelben Augen ihn traf.
Die bloße Gegenwart des Mannes schien ihm eine Gänsehaut zu bereiten, obwohl der ihm doch freundlich gesonnen war.
Rahne konnte sich diese Empfindungen nicht erklären, war aber insgeheim froh, nicht mit dem Ork allein unterwegs zu sein. Beschwingt folgte er seinen beiden neuen Begleitern durch das Gewimmel in Glazurias Straßen. Vielleicht bot diese Bekanntschaft ihm ja eine Perspektive, der zu folgen es sich lohnte. Die Orientierungslosigkeit, der er sich noch vor seinem Besuch im Badehaus ausgesetzt war, war mittlerweile einer angenehmen Neugier gewichen und Rahne war zufrieden.
Bai trottete schweigend neben den beiden Menschen her. Hinter beiden steckte mehr, als sie auf den ersten Blick offenbarten; da war der Ork sich sicher. Er könnte schwören, daß der Jüngling bei der Schlägerei im Badehaus Magie ins Spiel gebracht hatte; ganz gleich, was er behauptete und wie naiv er auch wirken mochte.
Und dieser Terzon war geschickt im Umgang mit Worten.
In scheinbar ungezwungenen Konversationen vermochte er, seinen Gesprächspartnern alle möglichen Informationen zu entlocken, ohne im Gegenzug etwas über sich preis zu geben.
Terzon hatte dem Grünschnabel so einiges entlockt und über ihn wussten sie noch immer kaum etwas.
Bai beschloss, ein waches Auge auf den Mann zu haben, doch vorerst stand sein Sinn nach einer angenehmen Bleibe und ein wenig Ablenkung.
Terzon hatte Recht; warum nicht ein bisschen feiern und sich anschließend um seine Angelegenheiten kümmern?
Das Miststück würde ihm noch früh genug über den Weg laufen…

Der Gewaschene Walfänger war ein ruhiger, sauberer Gasthof im Hafenviertel der Stadt. Zwar kostete es ein bisschen Überredungskunst, den misstrauischen Zwerg davon zu überzeugen, einem Ork ein Zimmer zu vermieten (Terzon gelang dies mit erstaunlicher Leichtigkeit), dafür waren die Zimmer ihren Preis wert.
Die Männer verbrachten den Nachmittag damit, sich auszuruhen.
Während Terzon und Rahne ein wenig schliefen, widmete Bai sich den traditionellen Übungen des Alapesh.
Als es bereits dämmerte, fanden sich die Männer im Schankraum des Gasthofes ein, wo sie ein gutes, reichhaltiges Abendessen zu sich nahmen.
Beiläufig erkundigte sich Terzon nach Tavernen, in denen man sich abends dem Vergnügen hingeben konnte.
Der Zwerg zählte eine Reihe Namen von Tavernen und Schenken auf, die entlang der Straße des Admirals oder im Hafen lagen, doch die Beschreibungen sagten dem Mann nicht zu. Die Straße des Admirals und die dort ansässigen Etablissements wirkten zu edel, als das man dort ausschweifende Vergnügungen erwarten konnte und um die üblicherweise überteuerten Preise und miesen Angebote, die Terzon aus Hafenvierteln kannte, wollte er lieber einen Bogen machen.
„Sagt, Wirt, gibt es in Glazuria kein Haus, in dem man ausgelassen feiern kann?“, fragte Terzon den Zwerg, „eines, wo mein Freund hier nicht schief angeschaut wird und wo man über die Stränge schlagen kann, ohne daß die Wache einen gleich in den Säuferturm wirft?“.
„Geht in den Silbernen Goblin!“, sagte ein junger Zwerg, der gerade mit einem Tablett voller dampfender Schüsseln aus der Küche kam, „da findet ihr all’ das und noch viel mehr!“.
„Dort ist es aber nicht ganz ungefährlich“, merkte der Wirt an, „und außerdem liegt es oben in Goblins Rast, dem Nordviertel der Stadt. Gerade nach Einbruch der Dunkelheit ist es da oben nicht mehr sicher! Selbst die Stadtwache setzt da bei Nacht keinen Fuß mehr rein. Goblingesindel, Diebe und anderes Gesindel treiben sich dort herum. An eurer Stelle würde ich eine anständigere Kneipe in einem sicheren Viertel aufsuchen, mein Herr.“.
„Macht euch keine Sorgen“, lachte Terzon, „für mich hört sich die Beschreibung der Taverne recht viel versprechend an! Wirt, ruft uns eine Kutsche!“.
Der Wirt schaute Terzon für einen Augenblick erstaunt an, schickte dann aber einen seiner Jungen, um den Wunsch des Gastes zu erfüllen.
Bestens gelaunt setzte sich Terzon wieder zu seinen Gefährten.
„Und ihr seid sicher, daß es klug ist, da hinzufahren“, fragten Rahne vorsichtig. „Ihr habt doch gehört, was der Wirt gesagt hat. Es ist nicht ungefährlich, dort einzukehren!“.
Terzon lachte und Rahne beschlich das Gefühl, daß sein Gegenüber ihn nicht wirklich ernst nahm.
„Keine Sorge, mein Junge!“, sagte Terzon und klopfte Rahne auf die Schulter, was diesen merklich zusammenzucken ließ, „wir werden uns dort prächtig amüsieren! Da bin ich ganz sicher…“.

Nur wenig später saßen die drei Männer in der Passagierkabine einer Kutsche, die über die gepflasterten Straßen der Hafenstadt holperte. Terzon war noch herausgeputzter als am Tag und trug nun eine Militärpistole an seinem Gürtel.
Sein in Tuch gewickeltes Bündel entpuppte sich nun als ein bornesisches Katana. Dieses wunderschöne Langschwert mit der leicht gebogenen Klinge, das in Bornesh nur von den Angehörigen der ranghöchsten Kasten getragen wurde, steckte in einer makellosen Scheide aus poliertem, bornesischen Schwarzholz.
Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß es sich hierbei um eine außergewöhnliche Waffe handelte und Rahne betrachtete sie mit Staunen.
„Was für eine wunderschöne Klinge“, sagte er zu Terzon, „woher habt ihr diesen Schatz?“.
„Das ist eine Geschichte, die ich euch vielleicht ein anderes Mal erzähle, mein junger Freund“, erwiderte Terzon.
Er lächelte bei diesen Worten, doch sein Blick verriet, daß er kein weiteres Nachfragen wünschte.
Bai nahm diesen Wortwechsel interessiert, aber unbewegt zur Kenntnis.

Die Kutsche schob sich durch das Gewühl in den Straßen des Hafenviertels, wo das Nachtleben einsetze und bog schließlich auf die Straße des Admirals, von wo sie zügiger gen Norden fuhr.
Rahne saß am Fenster und betrachtete das Treiben auf der Prachtstraße. Überall an den Ecken und über den Hauseingängen waren bunte, magische Laternen aufgeflammt. Viele Händler schlossen ihre Länden und bauten ihre Stände ab, während in den Schenken und Tavernen das Nachtleben begann.
Nachdem die Kutsche einige Zeit nordwärts gerollt war, bog sie gen Osten ab und überquerte eine Brücke, unter der der Kaltschaum, aus dem Aschenforst kommend, in Richtung des Hafens strömt.
Jenseits des Flusses änderte sich das Erscheinungsbild der Stadt abrupt. Hier waren die Häuser niedriger und die Fassaden weniger prachtvoll; an vielen Stellen sogar baufällig. Die gepflasterte Straße war in eine lehmbedeckte Piste übergegangen, die von Schlaglöchern übersäht war. Mehr als einmal wurden die Männer im Inneren der Kutsche ordentlich durchgeschüttelt.
Auch an den Leuten, die die Straße bevölkerten, war zu erkennen, daß die Kutsche nun durch Goblins Rast fuhr.
Menschen waren dort deutlich in der Minderheit und der größte Teil der Passanten bestand aus Goblinoiden, Gnomen, Tengu und vereinzelten Sargon-Reptilianern. Die Kleidung der Passanten war einfacher, die Auslagen der Läden weniger bunt und überladen und überall war Dreck und Unrat zu sehen.
Im Nordviertel gab es keine magische Beleuchtung, sondern einfache Fackeln und Petroleumlampen, die die Straßen erhellten.
Die Kutsche rollte vorbei an schäbigen Kneipen und heruntergekommenen Absteigen. Vor vielen Häusern hockten Bettler und anderes Gesindel, das in den anderen Vierteln kaum zu sehen war.
Rahne konnte erkennen, daß das Leben in Goblins Rast deutlich rauer zuging, als im Rest der Stadt. Er beobachtete mehrere Schlägereien, einen Streit zwischen Fuhrleuten, der in ein wildes Handgemenge über ging und beobachtete sogar zwei kräftig aussehende Männer, die einen Dritten packten, um ihn in eine finstere Gasse zu zerren.
Von Stadtwachen oder anderen Autoritäten war auf den Straßen des Nordviertels nichts zu sehen.
Je tiefer sie in Goblins Rast vordrangen, um so mulmiger wurde es Rahne. Der Ork saß ihm entspannt gegenüber und betrachtete ebenfalls mit gleichgültiger Miene das Leben auf der Straße.
Terzons Lächeln hingegen wurde dafür um so breiter und der Mann schien von einer erwartungsvollen Erregung gepackt zu sein.
Schließlich hielt die Kutsche und der Fahrer, der sichtlich nervös wirkte, ließ seine Gäste aussteigen.
„Wir sind da, werte Herren“, erklärte der Mann und empfing eine Handvoll Silbermünzen aus Terzons Börse. „Leider kann ich euch nicht wieder von hier abholen“, erklärte der Kutscher, „nächtliche Fahrten in dieses Viertel sind mir zu riskant. Ich bitte um euer Verständnis.“.
„Keine Sorge“, sagte Terzon und klopfte dem Mann beruhigend auf die Schulter, „wir werden schon heil nach Hause kommen.“.
Eilig kletterte der Kutscher auf den Bock seines Gefährtes, gab seinen Pferden die Peitsche und polterte davon.

Rahne, Terzon und Bai standen vor einem weitläufigen, einstöckigen Stadthaus, das sichtbar bessere Tage erlebt hatte.
Zum Silbernen Goblin stand in grauen Lettern über die Tür geschrieben; daneben war eine grinsende Fratze zu erkennen, die vermutlich eben diesen Goblin darstellen sollte.
Eine große Menge drängte sich vor eisenbeschlagenen Flügeltüren, die von zwei kräftigen Hobgoblins in Lederwämsern, und mit stahlverstärkten Keulen an den Gürteln bewacht wurden.
Von drinnen war laute Musik und das Johlen der Gäste zu hören, wann immer sich die Tür öffnete, um jemanden einzulassen.
Die Türsteher schienen sich davon zu überzeugen, daß die Kundschaft auch Bares mit sich brachte und mehreren Leuten, die kein Geld vorweisen konnten, wurde fluchend der Einlass verwehrt.
„Könnt ihr euch einen Abend im Silbernen Goblin leisten, Männer?“, blaffte einer der Hobgoblins die Gefährten an, als sie an der Reihe waren. „Zeigt mir eure Börsen!“.
Terzon drückte jedem der Türsteher jovial drei Goldmünzen in die Hand.
„Das dürfte die Frage beantworten“, antwortete er grinsend.
„Meine Freunde und ich wollen einen fröhlichen Abend verbringen und haben keinerlei Lust auf Ärger. Ich hoffe, daß ihr uns Unannehmlichkeiten aller Art vom Hals halten werdet.“.
Die Mienen der Hobgoblins hellten sich auf und geschwind öffneten sie die Tür der Taverne, um die großzügigen Gäste herein zu beten.

Im Inneren des Silbernen Goblin schlug den Gefährten Hitze und die rauchgeschwängerte Luft eines überfüllten Schankraums entgegen.
Es roch nach Tabak, Rauschkräutern, verschüttetem Wein, Essen und den Ausdünstungen der Gäste.
Von dem Podest hinter der Eingangstür, von dem eine kurze Treppe in den Schankraum hinab führte, hatten die drei Männer einen hervorragenden Blick auf das Treiben im Inneren der Taverne.
Der Schankraum schien das gesamte Erdgeschoss des Gebäudes einzunehmen. Ein langer Tresen zog sich über zwei Wände des Raumes, an denen Böcke mit Wein- und Metfässern und Regale voller Krüge und Flaschen angebracht waren. Große Eichentische, die dicht beieinander standen, füllten fast den gesamten Raum aus; mit Ausnahme einer Ecke, in der sich eine Bühne befand, auf der in diesem Augenblick eine gnomische Kapelle zu spielen begann.
In die freien Wände waren Nischen mit Sitzgruppen eingelassen, die den dort sitzenden Gästen ein wenig mehr Privatsphäre zubilligten.
Einige dieser Nischen waren mit Vorhängen verschlossen.
Alle Tische waren besetzt und viele der anwesenden Gäste standen an die Wände gelehnt oder drängten sich am Tresen.
Schon ein erster Blick offenbarte, daß die Taverne von Goblinoiden dominiert wurde. Menschen bildeten, zusammen mit Gnomen, Zwergen, Merkaniern und einigen exotischeren Völkern, die Minderheit.
Der überwiegende Teil der Kundschaft war männlich und von den wenigen Frauen, die anwesend waren, schienen die meisten einem offensichtlichen Gewerbe nachzugehen. Die meisten Anwesenden schienen Bewohner des Viertels oder Seeleute zu sein und nur wenige Gäste offenbarten durch Aussehen oder Kleidung einen gewissen Wohlstand.
Die meisten schienen – wenn überhaupt – eher niederen, schlecht bezahlten Gewerben nachzugehen.
An vielen Tischen wurde gespielt und Terzon sah zufrieden, daß vor allem Poklash – ein thalisisches Würfelspiel, das besonders im Norden Angraenors populär war – und das Kartenspiel Xirtik großen Anklang fanden; beides Spiele, die er mit Bravour beherrschte.
Das Stimmengewirr, das in dem überfüllten Schankraum herrschte, war enorm und wurde lediglich von der gerade einsetzenden Musik der Kapelle übertönt, die eine beliebte skalivernische Weise anstimmte und sofort mehrere angetrunkene Gäste zum Mitgröhlen animierte.

Es war offensichtlich, daß im Silbernen Goblin zügellos gefeiert wurde. Trotz der recht frühen Abendstunde lagen schon mehrere Gäste im Vollrausch auf oder unter den Tischen, der Alkohol floss in Strömen und die roten Wangen und glasigen Augen vieler Anwesender zeigte, daß hier schon seit einiger Zeit gezecht wurde.
Die drei Neuankömmlinge schoben sich auf der Suche nach freien Plätzen durch die Menge; hatten jedoch kein Glück, einen unbesetzten Tisch zu finden.
„Lasst mich uns einen Tisch besorgen“, sagte Bai und bewegte sich auf eine der Nischen zu, in der vier sichtlich angetrunkene Goblins an einem Tisch saßen und um Kupfermünzen spielten.
„Verschwindet!“, sagte Bai befehlend und baute sich in einschüchterner Pose vor dem Tisch auf.
Drei der Goblins betrachteten den Ork mit einer Mischung aus Verärgerung und Furcht, während der Vierte – offensichtlich der Betrunkenste der Gruppe – nur abwinkte.
„Zieh’ Leine“, lallte er, während er sich den Würfelbecher griff, „das ist unser Tisch. Verzieh’ Dich…“.
Noch bevor der betrunkene Goblin seinen Wurf machen konnte, hatte Bai ihn an seinem schwarzen Haarschopf gepackt und donnerte sein Gesicht auf die Tischplatte. Mit einem Krachen brach die Nase des Goblin und ein Zahn sprang ihn aus dem Mund; gefolgt von einem Schwall Blut.
Bewusstlos sackte der Goblin von der Bank und fiel zu Boden, während seine drei Gefährten hastig aufsprangen, ihre Münzen einsammelten und eilig den Platz räumten. Zwei von ihnen packten ihren bewusstlosen Kameraden und zerrten ihn davon. Terzon drückte dem Dritten ein paar Silbermünzen in die Hand und klopfte ihm auf die Schulter.
„Nichts für ungut, mein Freund! Trinkt einen auf uns!“.
Perplex nickend zog der Goblin mit seinen Gefährten von dannen.
Rahne war erschrocken von Bais brutalem Vorgehen und fast genauso erschrocken war er darüber, daß keiner der anderen Gäste – noch nicht mal die Bedienung – diesem Vorfall irgendeine Aufmerksamkeit schenkte.
Nur wenige der Leute in der Nähe schauten kurz herüber – eher um abzuschätzen, ob der Ork auch ihnen gefährlich werden könnte, als sich über das Geschehene zu entrüsten – und widmeten sich dann wieder ihren Beschäftigungen.

Bai und Rahne nahmen an dem Tisch Platz, während Terzon eine der Schankmaiden herbei zitierte, um seine Bestellung aufzugeben.
„Bringt uns einen Krug eures besten Weins“, bat der herausgeputzte Mann, „und drei Becher! Und bringt mir kein gepanschtes Gesöff, ich will euren Besten; ganz gleich was er kostet!“.
Rahne war erstaunt über Terzons Freigiebigkeit.
Für jemanden, der sich über die magere Heuer der Seeleute beklagte, lebte der Mann auf großem Fuß.
Die Bedienung, eine recht ansehnliche, junge und kräftige Menschenfrau, in deren Adern Hobgoblinblut zu fließen schien, kehrte bald zurück, wischte kommentarlos das Blut des Goblin beiseite und servierte den Männern ihren Wein. Terzon war zufrieden, daß die Maid seiner Anweisung gefolgt war und einen passablen Tropfen serviert hatte.
Die Männer sprachen dem Wein zu und unterhielten sich über ihre ersten Eindrücke von Glazuria.
Jeder von ihnen war leicht verhalten darin, den noch überwiegend fremden Begleitern persönliche Dinge zu berichten und so gaben sie sich unverfänglichem Geschwätz hin.
Terzon ließ immer wieder die Becher füllen und die Laune am Tisch der Gefährten wurde ausgelassen.
Schon wenig später gesellten sich zwei junge Gwandalierinnen zu den ausgelassen feiernden Männern, denen die Großzügigkeit des gut aussehenden Terzon nicht entgangen zu sein schien.
Die Männer hatten gegen die Gesellschaft der leicht bekleideten und wenig schüchternen „Damen“ nichts einzuwenden.
Sie hielten sich allerdings an Rahne und Terzon und hielten sich von dem unbewegt dreinblickenden Ork fern, der während der Unterhaltung immer wieder den Blick über die Gäste im Schankraum gleiten ließ, als suche er jemanden.
Rahne war sichtlich verunsichert und errötete, als eine der Frauen auf Tuchfühlung ging.
Diese Art Vergnügen schien dem jungen Thalisier wirklich gänzlich fremd, was Terzon und Bai köstlich amüsierte.
Die gnomische Kapelle spielte derweil fleißig auf und irgendwann hielt es den ausgelassenen Terzon, der sich prächtig amüsierte, nicht mehr auf dem Stuhl.
Charmant und mit Hilfe einiger Silberstücke überredete er die Gnome, eines seiner Lieblingslieder zu spielen, das er selbst mit seinem vollen und klaren Gesang begleitete.
Terzon sang ein fröhliches, zarelisches Freiheitslied und seine Darbietung animierte das Publikum zu ausgelassenem Mitklatschen.
Rahne und Bai waren erstaunt über Terzons Sangeskunst.
Der Mann sang, als habe er sein ganzes Leben auf der Bühne verbracht und als das Lied vorüber war, applaudierte nicht nur das Publikum, sondern auch die ihn begleitende Kapelle.
„Wenn ihr euch euer Geld als Sänger verdienen wollt“, sagte einer der Gnome, „dann könnt ihr euch jederzeit bei uns melden!“.
Terzon winkte lachend ab und gesellte sich wieder zu seinen Kameraden. Auf dem Weg dahin klopften ihm etliche Gäste anerkennend auf die Schulter und lobten seinen Auftritt in höchsten Tönen. Auch von den Frauen, mit denen sie sich den Tisch teilten, erntete Terzon bewundernde Blicke.
Eine neue Runde wurde bestellt und vor allem Rahne bemerkte nun die berauschende Wirkung des edlen Weins.
Sein Gesicht war gerötet – nicht nur von der schmeichelhaften Aufmerksamkeit der weiblichen Gesellschaft – und immer wieder brach er in schallendes Gelächter aus. Der Ork hingegen war deutlich trinkfester und Terzon genoss ebenfalls den Rausch; achtete jedoch darauf, daß dieser nicht in vollständige Trunkenheit überging.

Plötzlich schoben sich drei grimmig dreinblickende Hügelzwerge durch die Menge und bauten sich vor dem Tisch der Gefährten auf.
Alle drei waren stämmig, trugen lange, zerzauste Bärte und deutlich sichtbare Waffen an ihren Gürteln.
Einer von ihnen, ein Zwerg mit kräftigen, tätowierten Armen, einem dichten schwarzen Bart und eisigem Blick, schlug mit der Faust auf den Tisch, daß der Wein in den Bechern schwappte.
„Eure Feier ist vorüber“, knurrte er, „nehmt euren Fusel und eure Huren und sucht euch einen anderen Platz. Dies hier ist unser Tisch!“.
Die beiden anderen Zwerge nickten zustimmend und betrachteten die drei Gefährten grimmig.
„Wir waren zuerst hier“, antwortete Bai und nahm einen Schluck Wein, „und wir haben nicht vor, hier fort zu gehen. Sucht euch einen anderen Tisch und belästigt uns nicht.“.
Rahne, der Ärger witterte, rutschte langsam ein Stück in die Nische zurück, wobei er die streitsüchtigen Zwerge argwöhnisch betrachtete.
Der schwarzbärtige Zwerg packte den schweren Eichentisch und warf ihn mit einem Ruck zur Seite, so daß die Flaschen klirrend zu Boden fielen, Wein spritzte und die Becher unter die Bänke rollten.
„Schert euch fort!“, brüllte der Zwerg, „sonst werdet ihr’s bereuen, stinkender Ork!“.
Der Zwerg machte einen Satz auf Bai zu, der sich jedoch gewandt erhob, der Faust des Zwerges auswich und seine eigene Faust tief in die Magengrube des Angreifers grub.
Keuchend und nach Luft schnappend ging der Zwerg in die Knie.
Die beiden Frauen kreischten und drängten sich zu Rahne in den hintersten Winkel der Nische, um den beiden anderen Zwergen auszuweichen, die nun auf Bai losgingen.
Unbemerkt rutschte Terzon von seinem Schemel und tauchte in das Gewühl der Menge, die sich nun um die Nische versammelt hatte und der Auseinandersetzung gröhlend beiwohnte.
Er hörte, wie Wetten abgeschlossen wurden, die nicht zu Gunsten seiner Gefährten ausfielen. Die drei streitlustigen Zwerge schienen im Silbernen Goblin einen zweifelhaften Ruf zu genießen.
Im Gekreische der verängstigten Frauen ging das Murmeln unter, das über Rahnes Lippen kam und niemand bemerkte die komplizierten Gesten, die seine Finger vollführten.
Einer der Zwerge wollte gerade auf den Ork einschlagen, als er auf einem schmierigen Film ausrutschte, der den Boden der Nische überzog, und mit einem Krachen zu Boden ging. Der Schwarzbärtige warf sich gegen Bai und versetzte ihm einen schmerzhaften Hieb, der seine Lippe platzen ließ. Zornig schlug der Ork zurück. Der Zwerg versuchte den Hieb mit einer Hand abzuwehren, doch er unterschätzte die Schnelligkeit des Orks.
Krachend grub sich dessen Faust ins Gesicht des Mannes.
Die Wucht des Schlages riss ihn von den Füßen und der schmierige Boden sorgte dafür, daß der Zwerg in die Menge der Schaulustigen rutschte.
Der dritte Zwerg, der sah, daß sein Kamerad bewusstlos am Boden liegen blieb, riss voller Zorn ein Kriegsbeil aus seinem Gürtel und griff Bai an. Rahne war entsetzt über diese Entwicklung, doch im Silbernen Goblin schien es niemanden zu verwundern, daß während einer einfachen Kneipenschlägerei plötzlich tödliche Waffen ins Spiel kamen.
Bai versuchte dem brutal geführten Hieb auszuweichen, doch die Enge der Nische behinderte ihn, so daß ihn die Klinge des Beils streifte und ihm die Schulter aufriss. Der zweite Zwerg versuchte wieder aufzustehen, doch Rahne trat ihm geistesgegenwärtig ins Gesicht.
Derweil rang Bai mit dem bewaffneten Zwerg.
Er versuchte ihn mit einem gerade geführten Fausthieb zu treffen, doch der Zwerg duckte sich darunter weg und schwang sein Beil.
Doch der wild geführte Hieb verfehlte sein Ziel und die Waffe zerschmetterte eine der hölzernen Bänke. Die Frauen kreischten.
Plötzlich vernebelte sich der Blick des Zwerges und er geriet leicht ins Wanken; die erhobene Waffe baumelte in seiner Hand.
Bai stutzte für einen Augenblick, doch dann ersann er sich dem Ereignis im Badehaus und schlug zu.
Der Hieb traf den Zwerg ungebremst und zerschmetterte ihm die breite Nase.
Der dritte Zwerg rappelte sich derweil wieder auf und warf sich Bai entgegen. Ein Fausthieb gegen das Kinn ließ den Ork für einen Augenblick taumeln, doch er sammelte sich schnell.
Bai trat dem Zwerg in die Weichteile, doch der Schmerz schien den wütenden Zwerg nicht zu kümmern und dieser griff erneut an.
Der Zwerg mit dem Beil erhob sich und wollte gerade den abgelenkten Bai angreifen, als ihn Rahnes Streitkolben in die Rippen traf.
Verblüfft und zornig wandte der Zwerg sich dem Thalisier zu, der noch immer auf der Bank hockte und den Angreifer entsetzt anstarrte.
Der Zwerg holte zu einem weiten Hieb aus, doch als er das Beil niedersausen ließ, rollte sich Rahne flink zur Seite.
Das Beil grub sich tief in das Holz der Bank, wo es stecken blieb.
Zornig zerrte der Zwerg am Stiel seiner Waffe, als ihn Rahnes Streitkolben direkt auf den Kopf traf.
Mit einem Ächzen ging der Zwerg zu Boden, wo er regungslos liegen blieb. Bai entging dem unkoordinierten Schwinger seines Gegners, wirbelte herum und trat dem schwerfälligem Zwerg mit seinem Stiefel direkt unters Kinn.
Terzon kam gerade in Begleitung der beiden alarmierten Türsteher zurück, als der Zwerg krachend zu Boden ging.
Ein lautes Johlen ging durch die Menge der Schaulustigen.
Bai stand mit blutender Schulter und geballten Fäusten in der Nische und warf der Menge einen grimmigen Blick zu, während Rahne grinsend seinen Streitkolben zurück in den Gürtel steckte.

„Mir scheint, als seien meine Gefährten allein mit dem Problem zurecht gekommen!“, sagte Terzon an die beiden Hobgoblins gewandt, die die bewusstlosen Zwerge staunend betrachteten.
„Ihr habt dem alten Gilbash und seinen Jungs eine gehörige Abreibung verpasst“, sagte einer der Hobgoblins mit einem anerkennenden Unterton und musterte die ungleichen Gefährten in der Nische.
„Wir wollen hier nur in Ruhe trinken“, knurrte Bai, der den umgestürzten Tisch wieder auf die Beine stellte.
Die Türsteher schafften die bewusstlosen Zwerge davon und die Schankmaid eilte herbei und ersetzte den verschütteten Wein.
„Eine Runde für alle!“, brüllte Terzon und die Menge im Schankraum jubelte. Rahne gaffte seinen freigiebigen Gefährten verblüfft an, als dieser ohne zu zögern fast zwanzig Goldmünzen auf das Tablett der Bedienung schüttete. Die anderen Gäste prosteten den Männern zu und auch Rahne nahm einen kräftigen Schluck Wein, obwohl sein Blick schon gehörig benebelt war.
Erneut sprang Terzon – der es zu lieben schien, derart im Mittelpunkt zu stehen – auf die Bühne und stimmte mit der Kapelle ein weiteres Lied an, mit dem er erneut seine erstaunliche Sangeskunst unter Beweis stellte.

Um zu vermeiden, daß ihre zunehmende Trunkenheit dem Abend ein verfrühtes Ende setzte, beschlossen Terzon und Rahne, sich an einen der Tische zu setzen, an dem Xirtik gespielt wurde.
Rahne wollte dem Spiel vorerst nur als Beobachter beiwohnen, da er mit den Regeln nicht allzu vertraut war und seine Trunkenheit ihm vermutlich mehr Verluste als Gewinne einbringen würde.
Der gelöste Terzon eröffnete die Runde jedoch sogleich mit einem gewagten Einsatz und das Spiel begann. Terzon merkte bald, daß es sich zumindest bei einem der Mitspieler um einen geübten Xirtik-Spieler handelte.
Runde um Runde wurde gespielt, Karten gekauft und abgelegt, Einsätze wurden erhöht und Spieler stiegen aus oder warfen klimpernde Münzen in die Mitte des Tisches, um die Karten der Mitspieler sehen zu dürfen.
Rahne verfolgte das Spiel mit großem Interesse, während Bai, an einen Pfeiler gelehnt, nur beiläufig auf die Spielenden achtete und sich mehr für das Kommen und Gehen der Gäste interessierte.
Der Ork wollte es nicht versäumen, falls eine Gunst des Schicksals zufällig jene Frau in den Silbernen Goblin führen sollte, wegen der er nach Glazuria gekommen war.
Terzons Spiel lief mittelmäßig.
Zwar gewann er mehr, als er einsetzte, doch die wirklich lukrativen Einsätze gewann stets der Mann, der ihm gegenüber saß; ein schlanker Gwandalier mittleren Alters, der die unergründliche Miene eines erfahrenen Xirtik-Spielers aufgesetzt hatte.
Terzon versuchte zu ergründen, ob der Mann betrog oder ob Klarakni ihm wirklich so hold war, daß sich mittlerweile ein stattlicher Haufen von Münzen vor ihm stapelte.
Der Mann verzichtete nicht darauf, seine Fingerfertigkeit unter Beweis zu stellen, indem er mit den Karten beim Mischen mehrere Kunststücke aufführte, die die Mitspieler zum Staunen brachten.
Terzon durchschaute diese Darbietung jedoch als spektakuläre Ablenkung, wie sie Falschspieler gern benutzten, um andere Vorgänge am Tisch zu verbergen, doch es gelang ihm trotzdem nicht, zu bemerken, was sein Rivale mit diesem Kunststück kaschierte.
Bai nahm kaum Kenntnis vom Wirbeln der Karten am Tisch vor sich.
Es musste bereits Mitternacht sein und der Silberne Goblin platzte mittlerweile aus allen Nähten.
Die Luft war dick vom Pfeifenrauch und zahlreichen anderen Dünsten und es gab kaum noch einen Platz im Schankraum, an dem sich keine Gäste drängten. Selbst das Tanzen war vorüber, da sich in dem Gedränge der Menge schlicht kein Platz mehr dazu fand.
Dieser Umstand minderte jedoch in keinster Weise die Stimmung in der Taverne, die auf dem Höhepunkt schien. Es war laut, wild und stickig, doch nur wenige Gäste schienen sich daran zu stören; wie jene Gruppe von Menschen, die gerade mit angewiderten Blicken den Schankraum verließen.
Die letzte Runde war für Terzon gar nicht gut gelaufen und so sprach er während des Mischens ein lautloses Gebet zu Klarakni, ihm dieses Mal anständige Karten zu schenken.
Sein Gegenüber fixierte ihn und schien jede Bewegung seiner Finger zu registrieren, was Terzon ein belustigtes Grinsen entlockte.
Noch spielte er lediglich zum Spaß…
Dann erfolgte die Explosion.

Mit einem ohrenbetäubenden Knall zerriss es einen der Nebentische.
Eine Druckwelle raste durch den Schankraum, zerriss Tische und Bänke und blies die Gäste davon. Eine Feuersbrunst rollte hinterher.
Die Fenster zur Straße und die unzähligen Flaschen und Gläser auf den Tischen und Regalen zerbarsten in tausend Stücke.
Trümmer des zerborstenen Inventars wurden tödlichen Geschossen gleich durch den Raum gewirbelt.
Die Druckwelle hatte sämtliche Lampen und Fackeln gelöscht.
Terzon und Rahne lagen – halb unter dem Spieltisch begraben – benommen am Boden. Splitter von Holz und Glas steckten in ihrer Haut.
Heulen, Schreien und Wehklagen erfüllte den Raum, vermischt mit Poltern und dem Knistern der Flammen.
Überall um sie herum rappelten sich Gäste auf die Beine und eilten in haltloser Panik auf die Eingangstür zu. Mehrere der Männer, mit denen sie gerade am Xirtik-Tisch gesessen hatten, lagen nun tot neben ihnen.
Einem schien die Druckwelle der Detonation das Genick gebrochen zu haben, einem anderen hatte ein enormer Holzsplitter den Hals durchbohrt.
„Seid ihr verletzt?“, brüllte Terzon seinem Gefährten zu, um den sie umgebenden Lärm zu übertönen.
Rahne schüttelte nur den Kopf und hatte Mühe, den Stiefeln jener auszuweichen, die Hals über Kopf auf die Tür zu stolperten.
Er kroch zu Terzon, der noch halb unter dem Tisch lag, der nun jedoch als Deckung gegen das Trampeln der panischen Menge wirkte.
Dann explodierte die Front des Silbernen Goblins.
Diese zweite, wesentlich heftigere Explosion, schickte eine Feuerwalze durch den gesamten Schankraum.
All’ jene, die sich dem Eingang entgegen drängten, wurden ein Opfer der Flammen. Jene, die dem Eingang am nächsten waren, wurden von der Wucht der Explosion zerrissen und nahezu alle hinter ihnen wurden von den rollenden Flammen verzehrt oder von den umher fliegenden Trümmern der zerberstenden Mauer erschlagen.
Die Hitze des Feuers raubte Terzon und Rahne fast den Atem.
Ihr Haar war angesengt und Brandblasen bedeckten ihre Haut, doch der lichterloh brennende Tisch, unter dem sie lagen, hatte die verheerendsten Auswirkungen der zweiten Explosion abgefangen.
Hastig befreiten sie sich von dem Tisch und rappelten sich auf.
Sie klopften die Flammen aus, die an ihren Kleidern fraßen und sahen sich um. Hastig sammelte Rahne seine Militärflinte auf, die er auf dem Boden liegend entdeckte.
Es bot sich ein Bild des Grauens.
Der Schankraum, der als solcher nicht mehr zu erkennen war, war über und über mit verkohlten Leibern und zerschmetterten Körpern bedeckt.
Teile des Raumes brannten lichterloh. Die Theke stand in Flammen und Feuer züngelte an den hölzernen Deckenbalken entlang.
Der dichte Rauch und der aufgewirbelte Staub in der Luft ließ die Männer husten und nach Luft ringen.
In dem dichten Qualm war kaum etwas zu erkennen, doch vereinzelt war das Stöhnen Verwundeter und Sterbender zu hören.
„Der Ork!“, hustete Rahne plötzlich und zeigte auf Bai, der regungslos und halb verdeckt von mehreren Leichen ein Stück entfernt lag.
Die Männer stürzten auf ihn zu, zerrten verbrannte Leiber zur Seite und legten ihren Gefährten frei.
Der Ork schien schon von der ersten Explosion davon geschleudert worden zu sein und das Bewusstsein verloren zu haben; ein Umstand, der ihm möglicherweise das Leben gerettet hatte.
Zwar war sein Körper von kleineren Wunden übersäht, so war doch keine lebensbedrohliche Verletzung zu erkennen.
Seltsamerweise hatte der Ork nicht eine Brandwunde.
Terzon, der ebenfalls verletzt war, zog einen schlanken Zauberstab aus seinem Gürtel und wendete ihn auf sich und den bewusstlosen Ork an.
Einige der Wunden schlossen sich sogleich und Terzon fühlte sich deutlich vitaler. Als er sich zu seinem Gefährten umdrehte, um ihn dazu aufzufordern, Bai aus dem zerstörten Haus zu tragen, das jeden Augenblick einstürzen könnte, blieb ihm für einen Augenblick das Herz stehen.
Rahne stand nur einen Schritt weit von ihm entfernt, schloss die Augen und plötzlich loderten weiße Flammen um ihn herum auf.
Terzon spürte die vernichtende Hitze, doch Rahne schienen sie nichts auszumachen und auch seine Kleidung nahm keinerlei Schaden.
Mit einem Fauchen loderten die Flammen so sehr auf, daß man Rahne kaum noch erkennen konnte und Terzon eine Hand vor die Augen halten musste, um nicht geblendet zu werden.
Doch ebenso schnell, wie sie gekommen waren, waren die Flammen wieder verschwunden.
Der junge Thalisier wirkte vollkommen unverletzt; ja, er wirkte sogar gesünder als zuvor.
Mit Staunen sah der fassungslose Terzon, daß fast alle von Rahnes Wunden verschwunden waren. Selbst das angesengte Haar war nicht mehr zu sehen.
„Helft mir!“, wies Rahne den völlig verblüfften Terzon an und packte Bai an der Schulter. Hustend und keuchend zerrten sie ihren Kameraden durch die Trümmer der Taverne und zur Tür hinaus auf die Straße.

Die Straße war mit Trümmern übersäht.
Die zerfetzten Überreste einer Kutsche und mehrerer Pferde waren zwischen dem Schutt der zerborstenen Fassade zu erkennen.
Auch die Fenster der gegenüberliegenden Häuser waren zerstört und die Wände mit Rissen übersäht.
Hustend rangen Terzon und Bai nach Luft.
In dem Qualm und Staub können sie ein Stück die Straße herunter Leute erkennen und Rufe hören. Irgendwo in der Ferne ertönte eine Feuerglocke.
Plötzlich ertönte ein Krachen und etwas sauste an Rahne vorbei.
Der Thalisier war zu perplex, um zu realisieren was geschah, als Terzon ihn plötzlich packte und zu Boden riss.
Ein weiterer Schuss ertönte und ein Geschoss bohrte sich direkt neben Rahne ins Pflaster der Straße.
„Weg hier!“, schrie Terzon, rappelte sich auf, überquerte die Straße und warf sich auf der anderen Seite in einen Hauseingang.
Rahne folgte ihm, während zwei weitere Schüsse krachten, die dicht an ihm vorbei sausten.
„Sie sind auf dem Dach!“, knurrte Terzon und zeigte senkrecht in die Höhe. Auch er hatte den Eindruck, als wären die Schüsse von dem Dach des Hauses gekommen, das dem Silbernen Goblin gegenüber stand.
Plötzlich tauchte in der von Qualm verhangenen, zertrümmerten Fassade der Taverne eine taumelnde Gestalt auf.
Terzon erkannte, daß es sich um die Schankmaid handelte, jene Halb-Goblinoide, die sich den Abend über um ihr leibliches Wohl gekümmert hatte.
Die Frau sah übel zugerichtet aus, als sie ins Freie taumelte.
Als die Schankmaid Bais regungslosen Leib auf der Straße liegen sah, beugte sie sich zu ihm hinab.
„Weg da!“, brüllte Rahne panisch, „verschwinde!“.
Überrascht hob die Frau den Kopf und schaute zu den beiden Gestalten hinüber, die in dem Hauseingang kauerten.
Dann krachte ein weiterer Schuss.
Das Blut spritzte, als sich das Geschoss in den Kopf der Schankmaid bohrte, die sofort tot zu Boden stürzte. Terzon erhob sich, zog seine Militärpistole aus dem Gürtel und die schimmernde Klinge des Katana aus der Scheide.
„Wir gehen aufs Dach“, knurrte er.

Rahne nickte nur und nahm seine Flinte von der Schulter.
Die Tür in ihrem Rücken schien in ein Geschäft zu führen. Ein paar Meter weiter die Fassade entlang konnte Terzon eine weitere, größere Tür erkennen, die möglicherweise den Haupteingang des Gebäudes darstellte.
In stillem Einverständnis verzichteten die Männer darauf, sich dorthin zu bewegen; für den Fall, daß die Schützen die Straße unter ihnen im Auge behielten.
Terzon holte einen kleinen Beutel mit merkwürdigen Werkzeugen – gebogene Metallstifte, eiserne Nadeln und Dietriche – hervor und mit wenigen, geschickten Bewegungen öffnete er die verschlossene Tür in ihrem Rücken.
Sie betraten den Verkaufsraum eines kleinen Laden, in dem die Explosion in dem gegenüber liegenden Gebäude auch für geringfügige Verwüstungen gesorgt hatte und begaben sich zu einer weiteren Tür, hinter der ein Flur lag, der vom Haupteingang des Gebäudes zu einem Treppenhaus führte.
Es war stockdunkel.
Leise und mit ihren Waffen im Anschlag stiegen sie die Treppen hinauf. Rahne konnte keine Hand vor Augen sehen und stolperte.
„Halt Dich an mir fest“, flüsterte Terzon und schlich weiter.
Der junge Thalisier war verwundert darüber, daß sein Begleiter scheinbar trotz vollständiger Dunkelheit die Umgebung erkennen konnte, doch die sie umgebende Stille gestattete keine Fragen und Rahne folgte schweigend.

Plötzlich blieb Terzon stehen und nur einen Augenblick später hörte Rahne Geräusche; das Geräusch von Stiefeln auf Stufen, das sich ihnen näherte.
Dann konnte der junge Mann plötzlich die Umrisse seiner Umgebung erkennen und sehen, wie Terzon mit der Pistole in der einen und dem Schwert in der anderen Hand dicht an eine Wand gepresst kurz vor dem Ende der Treppe stand, die in einen Flur zu münden schien.
Die Schritte wurden lauter und es wurde heller.
Die Personen – Rahne schätzte, daß es sich um drei oder vier Leute handeln musste – hatten scheinbar eine Laterne bei sich.
„Beeilt euch!“, hörte er eine Stimme sagen, „da unten rührt sich nichts mehr und wir sollten fort sein, bevor die Wache kommt!“.
Plötzlich tauchte eine Gestalt in einem dunklen Kapuzenmantel am Fuß der Treppe auf. Terzon zögerte nicht und schoss.
Die Kugel traf den Mann – Rahne konnte im Mündungsfeuer das erstaunte Gesicht eines Menschen erkennen – direkt zwischen die Augen und der Aufprall schleuderte ihn gegen die gegenüberliegende Wand.
Ein entsetzter Aufschrei war zu hören und Rahne konnte im tanzenden Licht der Laterne die Schatten dreier weiterer Gestalten erkennen.
Terzon machte einen Schritt vor und feuerte den zweiten Lauf seiner Pistole ab. Röchelnd und schwer getroffen stolperte eine weitere Gestalt in einem schwarzen Mantel in Rahnes Blickfeld.
Erneut krachte ein Schuss; dieses Mal jedoch von der Gegenseite, der Terzon nur knapp verfehlte und sich in die Wand des Treppenhauses grub.

Als Bai wieder zu sich kam, fand er sich auf der Straße vor der völlig zerstörten Fassade des Silbernen Goblins wieder.
Benommen erhob er sich und es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, was geschehen war. Neben ihm lag die Leiche der Schankmaid mit einer klaffenden Schusswunde im Kopf.
Das Gebäude hinter ihm brannte lichterloh und die Luft war erfüllt von Qualm und Rauch.
Der Ork hustete und schaute sich um, konnte jedoch kaum etwas erkennen. Er hörte das warnende Bimmeln der Feuerglocke in der Ferne und aufgeregte Rufe hallten die Straße hinauf.
Dann hörte er plötzlich einen Schuss.
Er wirbelte herum und zog mit einer geübten Bewegung seine eigene Flinte. Dann ertönte ein weiterer Schuss, kurz darauf gefolgt von einem dritten, lauteren Schuss.
Bai begriff, daß die Schüsse aus dem der Taverne gegenüber liegenden Gebäude kamen. Doch wo waren seine Gefährten? Waren sie in der Feuersbrunst umgekommen? Doch wer hatte ihn hier heraus geschafft?
Als ein weiterer Schuss ertönte, verwarf er diese Fragen und eilte auf die offene Tür zu, die in das Gebäude führte.

Terzon konnte gerade noch in Deckung springen, als ein weiterer Schuss sich in die Ecke zu seiner Rechten grub.
Zwei weitere Männer in dunklen Mänteln tauchten nun in dem Flur auf; beide mit geladenen Militärflinten in den Händen.
Rahne legte an und schoss und traf einen der beiden an der Schulter.
Der Mann stieß einen Schrei aus und stolperte ein Stück zurück.
Terzon hob das Schwert und führte es in einem geraden Streich gegen den verbliebenen Gegner. Blut spritzte und ein weiterer Aufschrei erklang.
Der Schuss, den der Mann gerade abfeuern wollte, ging in die Decke.
Rahne konnte sehen, wie der Verwundete anlegte, um auf Terzon zu schießen, der von seinem Gegner abgelenkt wurde.
Doch der Thalisier konnte aus seiner Position allerdings unmöglich schießen, da Terzon ihm halb im Weg stand. Hastig ließ Rahne das Gewehr sinken und sprach hektisch die Worte einer Beschwörung.
Die Luft um den Gegner begann zu knistern und plötzlich breitete sich ein Gewimmel kleiner, schwarzer Spinnen auf seinem Leib aus.
Der Mann schrie.
Er ließ das Gewehr fallen und versuchte hektisch, die Tiere mit beiden Händen abzustreifen, doch es waren zu viele.
Die Spinnen bissen ihn überall und pumpten ihr Gift in seinen Leib. Wimmernd ging der Mann auf die Knie und fasziniert beobachtete Rahne, wie der beschworene Spinnenschwarm ihn wimmelnd bedeckte und ihm sogar in Mund und Nase kroch, so daß sein Geschrei in ein ersticktes Würgen überging.
Terzon riss derweil sein Schwert herum. Der blutende Gegner drückte erneut ab und verfehlte Terzon abermals.
Mit einem brutalen Hieb grub Terzon dem Mann die Klinge in den Hals. Klatschend spritzte das Blut gegen die Wand.
Vergeblich rang der Mann, dem der Hieb die Kehle zerschnitten hatte, nach Atem. Schließlich taumelte er zurück, krachte gegen eine Wand und starb. Ein plötzliches Geräusch ließ Rahne herum wirbeln; doch mit Erleichterung erkannte er Bai, der hinter ihm die Treppe hinauf eilte.

Außer Atem ließ Terzon die blutige Klinge sinken.
Mit Grauen betrachtete er den regungslosen Leib, auf dem die winzigen Spinnen wimmelten. Mit einer einfachen Handbewegung ließ Rahne den Schwarm verschwinden, so daß nur noch die entsetzlich aufgedunsene und von unzähligen Bissen verunstaltete Leiche des Mannes zurückblieb.
„Was sind das für Männer?“, fragte Bai, der die Leichen betrachtete.
An den Mänteln erkannte Bai, daß die Toten zu jener Gruppe Männer gehörte, die die Taverne mit griesgrämigem Blick kurz vor der Explosion verlassen hatten.
„Vermutlich jene, die für das Geschehen im Silbernen Goblin verantwortlich sind“, antwortete Terzon, der sich zu einer der Leichen bückte.
Er zog ein blutverschmiertes Pergament aus einer Tasche des Mantels und entfaltete es.
Tod der Goblin-Pest! stand in großen, roten Lettern in der Überschrift des Pergamentes.
Wir, die Herrenmenschen von Glazuria, haben es uns zur Aufgabe gemacht, der Goblin-Plage Herr zu werden, die in unserer Heimatstadt ihr Unwesen treibt und der ein unfähiger Erzherzog keinen Einhalt zu gebieten vermag. Wir werden dafür sorgen, daß Glazuria nicht zu einem Sammelbecken für Piraten und Kriminelle verkommt und eine Stadt bleibt, auf die wir Menschen stolz sein und in der unsere Kinder unbehelligt von Abschaum aufwachsen können. Wir werden nicht ruhen, bis der Letzte dieser Brut sein Lebenslicht ausgehaucht oder die Mauern der Stadt hinter sich gelassen hat! Zum Erreichen dieses Ziels ist uns jedes Mittel recht!
Tod den Goblinoiden!
Heil Glazuria!

„Fanatiker!“, murmelte Terzon, nachdem er zu Ende vorgelesen hatte. Rahne und Bai war das Entsetzen ebenfalls anzusehen. Das diesen Wahnsinnigen jedes Mittel zum Erreichen ihrer verbohrten Ziele Recht war, hatten sie mit dem Massaker im Silbernen Goblin eindrucksvoll bewiesen.

„Keine Bewegung!“, ertönte plötzlich eine Stimme auf der Treppe hinter ihnen.
„Weg mit den Waffen!“, befahl eine Zweite.
Erschrocken wirbelten die Gefährten herum und schauten in die Läufe mehrerer Militärflinten, die auf sie gerichtet waren.
Terzon verfluchte sich leise. Als sie das Pamphlet gelesen hatten, hatten sie für einige Augenblicke ihre Umgebung außer Acht gelassen.
Eine Gruppe von Stadtwachen in Kettenpanzern und mit schwarzen Pickelhauben auf dem Kopf schob sich die Treppe hinauf, ohne die drei Männer aus den Augen zu lassen.
Hierbei musste es sich um eine Kampfeinheit der Stadtwache handeln, mutmaßte Bai, denn diese Wächter waren besser gerüstet und bewaffnet und trugen andere Farben als jene am Tor und auf den Straßen.
„Im Namen des Erzherzogs; ihr seid verhaftet!“, rief einer der Wächter, „stillgestanden und Hände hoch!“.
Gehorsam ließen die drei Gefährten ihre Waffen sinken und hoben anschließend die Hände in die Luft.
Die Wachen – insgesamt acht schwer bewaffnete Männer – umzingelten sie.
„Diese Leichen hier sind jene, die für den Anschlag verantwortlich sind.“, erklärte Terzon, doch einer der Wächter brachte ihn mit einem unsanften Stoß mit dem Kolben seiner Flinte zu schweigen.
„Maul halten!“, knurrte der Wächter.
„Runter mit euch!“, befahl ein anderer und deutete auf die Treppe.
Die aufmerksamen Wächter führten die drei Gefährten die Treppe hinunter. Der Flur dort war nun von Fackeln erhellt.
Weitere Stadtwachen standen dort und nahmen die drei Männer mit angelegten Flinten in Empfang.
Ein Stadtwächter mit einem langen, schwarzen Mantel und einer Militärpistole am Gürtel ging den Gefangenen entgegen.
Es war ein Gwandalier gehobenen Alters, dessen Wangen und Stirn von tiefen Falten durchfurcht waren.
Ein grauer Bart bedeckte Kinn und Wangen des Wächters.
„Drei Verdächtige, Hauptmann!“, meldete ein Wächter und salutierte.
„Und oben liegen vier weitere Leichen. Erschossen, erschlagen und…. verstümmelt.“.
„Verdächtig?“, erzürnte sich Terzon, „wir haben mit dem Anschlag nichts zu tun! Schaut an, wie wir aussehen! Wir sind Überlebende!“.
Der Hauptmann musterte die drei Männer.
„Was ihr seid, werden Richter entscheiden“, knurrte er
„Vorerst seid ihr verdächtig, für den Anschlag in dieser verkommenen Taverne verantwortlich zu sein. Hunderte von Toten! Man wird euch mehrmals hängen müssen, um dieses Verbrechen zu sühnen!“.

„Nicht so vorschnell, Hauptmann!“, war plötzlich eine weibliche Stimme zu hören.
Der Hauptmann drehte sich langsam um und nun konnte auch die drei Gefährten die Silhouette einer Frau erkennen, die in der offenen Eingangstür des Gebäudes stand.
„Was wollt ihr, Renski?“, fragte der Hauptmann mit unüberhörbarer Feindseligkeit in der Stimme.
„Dies ist eine Operation der Stadtwache. Ihr wisst genau, daß ihr hier nichts zu suchen habt!“.
„Und ihr, Hauptmann Lefgyr, wisst genau, daß mir das einerlei ist.“, antwortete die Frau, die sich nun langsam, an der Reihe der Wächter vorbei, den Flur hinab bewegte.
Die Frau war menschlich.
Sie sah nicht aus wie eine Gwandalierin; eher wie eine Dhraal.
Ihr etwas bleiches, ebenmäßiges Gesicht hatte hohe Wangenknochen und volle rote Lippen. Schwarzes Haar, das sie halblang trug, verdeckte ihr Gesicht zum Teil und gab ihr etwas Geheimnisvolles. Sie schien noch jung – allerhöchstens Mitte Zwanzig – und hatte eine schlanke Figur.
Sie war gänzlich in Schwarz gekleidet. Ihre Füße steckten in kniehohen Schaftstiefeln; sie trug ledernde Handschuhe, enge Reiterhosen und eine Bluse. Über die Schultern trug sie einen seidenen Kapuzenmantel.
Bai bemerkte, daß mehrere der Wächter die Frau, die der Hauptmann Renski genannt hatte, heimlich musterten.
Sie schritt an den Soldaten und am Hauptmann vorbei und blieb vor den drei Gefangenen stehen.
„Ihr müsst euch mit diesen hier keine Mühe mehr machen, Hauptmann Lefgyr“, sagte sie mit einem leichten Lächeln, als genieße sie die eigenen Worte. „Ich werde diese drei Männer mitnehmen. Weisen sie ihre Wächter an, sie und ihr Habe zu meiner Kutsche zu eskortieren, die vor dem Haus wartet.“.
Der Hauptmann schnappte nach Luft.
„Seid ihr von Sinnen?“, rief er, sichtlich erzürnt, „diese Männer sind höchstwahrscheinlich Mörder! Rassisten! Ihr könnt sie nicht mitnehmen; der Erzherzog hat ein persönliches Interesse daran, daß sie verurteilt werden.“.
„Der Erzherzog kann mich mal“, schnurrte die Frau mit einem Lächeln.
„Ich handle auf Befehl meines Herrn. Verstanden, Hauptmann Lefgyr? Er wird die Angelegenheit mit eurem Erzherzog schon regeln; verlasst euch darauf. Und jetzt gebt euren Befehl, sonst muss ich eure Widerspenstigkeit leider erwähnen!“.
Die Frau warf dem alten Hauptmann ein charmantes Lächeln zu und drehte sich schwungvoll herum.
Ihre Schritte hallten auf dem Boden, als sie sich zum Ausgang bewegte.
Der Hauptmann verzog das Gesicht und musterte noch einmal die Gefangenen.
„Nun gut“, seufzte er. Die Härte war aus seiner Stimme verschwunden und einem Ton der Resignation gewichen. „Bringt sie zur Kutsche.“.

Die Wächter führten Bai, Terzon und Rahne aus dem Haus und zu einer schwarzen Kutsche, die direkt davor parkte.
Gegenüber brannte der Silberne Goblin noch immer lichterloh. Mittlerweile war die Feuerwehr der Stadt eingetroffen und zwei Dutzend Männer waren dabei, zu löschen und zu verhindern, daß das Feuer auf angrenzende Häuser übergriff.
Es sah nicht so aus, als könnte die Taverne noch gerettet werden.
Renski selbst hielt den verwunderten Männern mit einem Lächeln die Tür auf und nachdem diese eingestiegen waren, gab sie dem vermummten Kutscher ein Signal und stieg dann ebenfalls in die Kabine.
„Wein?“, bot sie mit einem charmanten Lächeln an und öffnete einen Schrank, der mehrere Kristallkelche und ein kleines Weinfass enthielt.
„Wohin bringt ihr uns?“, fragte Terzon freundlich und schenkte der attraktiven Frau sein schönstes Lächeln.
„Das Ziel und der Zweck dieser Fahrt wird sich euch noch früh genug offenbaren, meine Herren“, antwortete sie und reichte den Männern ihre Kelche.
Grimmig schaute Bai die Frau an.
„Was gibt euch die Zuversicht, daß wir euch nicht einfach umbringen und das Weite suchen?“, fragte der Ork schroff.
Rahne zuckte bei diesen Worten unwillkürlich zusammen.
„Nun, ich habe euch gerade vor einem ziemlich sicheren Todesurteil bewahrt“, antwortete sie freundlich und ohne auf Bais bedrohlichem Tonfall einzugehen.
Angst ließ sie allerdings auch nicht spüren.
„Wäre es da nicht das Mindeste, eurem Wohltäter euren Dank auszusprechen?“.
Bai starrte sie noch einen Augenblick an und schaute dann wieder zum Fenster hinaus.
„Wir haben mit der Explosion nichts zu tun!“, sagte Terzon, „das ganze ist ein Missverständnis!“.
„Das mag sein“, antwortete Renski mit einem jovialen Lächeln, „aber ich bezweifle, daß Glazurias Richter eurer Argumentation gefolgt wären. Wenn sie erst einmal einen Schuldigen für ein Verbrechen haben, lassen sie ihn höchst ungern vom Haken; vor allem, wenn sich so drückende Beweise gegen ihn finden.
Ihr wart die einzigen Überlebenden eines Attentats! Eines Massakers!
Normalerweise sind die einzigen Personen, die ein solches Attentat überleben, die Attentäter selbst…“.
Terzon schluckte und Renski prostete ihm mit einem Lächeln zu.

Der Rest der Fahrt verlief in Schweigen.
Die Kutsche fuhr von Goblins Rast zurück auf die Straße des Admirals und wendete sich dann südwärts.
Obwohl es mittlerweile mitten in der Nacht war, herrschte noch immer Leben auf Glazurias Prachtstraße und es waren viele Passanten unterwegs, die die kühle Nachtluft genossen, die vom Hafen herüber wehte.
Die Kutsche passierte den Platz der Fontäne, fuhr am Palast der Gerechtigkeit und am Tempel des Xor vorbei und Bai nahm schon an, sie würde die Stadt durch das Südtor verlassen, als sie gen Osten bog.
Die Kutsche fuhr durch ein edles Viertel, in dem sich prächtige Herrenhäuser und Anwesen aneinander reihten; viele davon hinter hohen Mauern verborgen.
Schließlich bog das Gefährt auf eine Straße, die sich einen Hang hinauf zog.
Unter sich konnten die Männer die Lichter Glazurias erkennen und in weiterer Ferne sahen sie die Flutburg, die hell erleuchtet im Hafenbecken lag.
Dahinter schimmerte das Gwandalische Meer im silber-roten Licht der beiden Monde, von denen einer voll und der andere als schlanke Sichel am Himmel stand.
Als die Kutsche wieder ebenen Boden unter den Rädern hatte, fuhren sie durch ein park-ähnliches Waldstück, in dem die Nachtigallen sangen und Schwärme von Leuchtkäfern die Wipfel der Bäume mit einem unwirklichen, gelblichen Glühen überzogen. Schließlich lichteten sich die Bäume und gaben den Blick frei auf ein gewaltiges Anwesen, das hinter einer hohen Mauer lag.
Das Anwesen war im bornesischen Stil erbaut.
Geschwungene Dachgiebel und Pagoden ragten hinter einer hohen Mauer in den Nachthimmel empor. Der Boden des Vorplatzes, auf dem die Kutsche nun hielt, war mit einem gewaltigen Mosaik gepflastert, welches eine Schlange darstellte, die sich selbst in den Schwanz biss.
Bornesische Wächter in rostroten Uniformen und Plattenpanzern öffneten mit einer Verbeugung die Tür der Kutsche und Renski bat die drei Männer, ihr zu folgen.

Über eine Marmortreppe gelangten die drei Männer in eine Vorhalle, die komplett mit rotem Granit getäfelt war.
Edle Teppiche hingen an den Wänden und an einer der Wände stand eine ganze Reise antiker, bornesischer Vasen.
Bronzene Rauchgefäße verbreiteten den Duft exotischer Inzens.
Auch hier standen Wächter, die sich verbeugten, sobald Renski vorüber ging.
Die Frau führte sie durch einen langen Säulengang, der von magischen Lichtkugeln erhellt wurde, und dann in eine Halle, in der eine gewaltige Freitreppe in den ersten Stock hinauf führte.
Die Decke der Halle bestand aus einem gewaltigen Gemälde, das eine kunstvolle, astronomische Karte des Nachthimmels darstellte.
Die Treppe selbst war mit unterschiedlichen Statuen bornesischen Stils – einige sichtlich antik – geschmückt.
Im ersten Stock angekommen, öffnete Renski eine Flügeltür – genauer gesagt, die Tür öffnete sich selbst, sobald sie nahte – und führte die Männer in einen großen, mit dicken Teppichen ausgelegten, gewaltigen Raum.
In dem Raum gab es nur wenig Licht, das hinter Säulen hervordrang, die in den Ecken standen.
Töpfe mit großen Pflanzen standen überall und vermittelten den Eindruck eines Gartens. Dieser wurde nur noch vollendet durch Schmetterlinge, die durch den Raum flatterten und den dezenten Duft von Orchideen.
Langsam führte Renski die Gäste durch den riesigen Raum, der nach oben hin in eine Kuppel zulief. Gelegentlich konnte man auch das Singen eines Vogels und Flügelschlagen hören, doch im Zwielicht des Raumes war keiner zu sehen. Gewaltige Regale voller Bücher und Schriftrollen standen überall herum und teilten den Raum so in unterschiedliche Bereiche.
Pergamente lagen auf großen Schreibtischen, die ebenfalls durch magische Lichtkugeln erhellt worden. Rahne warf im Vorbeigehen gelegentlich interessierte Blicke auf die Texte, doch sie waren allesamt in seltsamen Schriftzeichen verfasst, mit denen er nichts anfangen konnte.

Als sie schließlich um eine Wand aus überfüllten Regalen bogen, erreichten sie eine Treppe, die aufwärts und zu einem Balkon führte, der silbrig im Mondlicht schimmerte.
Am Ende der Treppe und vor dem Ausgang zum Balkon stand ein großer, schwarzer Schreibtisch, der mit edlen Intarsienarbeiten verziert war.
Als die Männer langsam die Treppe hinauf stiegen, konnten sie erkennen, daß ein Mann an diesem Tisch saß, der sie schweigend betrachtete.
Als sie am Ende der Treppe ankamen, weiteten sich ihre Augen angesichts der Leibesfülle dieses Mannes.
Der Mann war ein Bornese, doch seine Haut hatte nicht den für Bornesen üblichen gelblichen Farbton, sondern war krebsrot.
Sein Leib hatte gewaltige Ausmaße.
Nie zuvor hatten die Männer einen derartig fetten Mann gesehen.
Alles an diesem Mann war gigantisch.
Seine Haut war seltsam gespannt; als sei er ein Wasserschlauch, der zum Bersten gefüllt ist. Er schien nackt zu sein.
Dicke, violette Adern zogen sich über die Stirn, die Schultern und den Schädel des Mannes. Sein Leib war übersäht mit seltsamen dunklen Flecken, die an Muttermale erinnerten. Doch bei näherer Betrachtung war zu erkennen, daß die vermeintlichen Muttermale sich sanft bewegten.
Der Mann hob einen seiner speckigen Arme und fasste sich hinter den Kopf.
Ein saugendes, schmatzendes Geräusch war zu hören und als er die Hand wieder zurückzog, hielt er einen gewaltigen, voll gesogenen Egel in der Hand.
Blut tropfte vom dem Egel auf die polierte Oberfläche des Schreibtischs.
Achtlos warf der Mann den übergroßen Parasiten in einen Messingeimer, der neben dem Tisch stand.
Wie die Männer erkennen konnten, wanden sich dort noch mehr dieser dicken Egel in einer Pfütze aus Blut. Terzon und Rahne schauderte es bei dem Anblick.
Der dicke Mann griff mit der Hand in eine weitere Schale, die auf dem Schreibtisch stand und förderte einen deutlich kleineren Egel zutage, den er sich mit einem erleichterten Seufzen auf den kahlen Schädel setzte.
Fast war den Männern, als könnten sie ein schmatzendes Geräusch vernehmen.
Renski verbeugte sich vor dem Bornesen.
„Herr, ich bringe euch die Männer, nach denen es euch verlangt hat“, sagte sie und verbeugte sich abermals.
Der fette Bornese lächelte die Neuankömmlinge an und entblößte dabei Reihen blutbeschmierter Zähne.
Er nickte zufrieden und seine Haut waberte, als sei sie voller Flüssigkeit.
„Ich grüße euch, Fremde“, sagte er mit einer knirschenden, gurgelnden Stimme, „und heiße euch willkommen in meinem Palast!“.

Fortsetzung unter: Kapitel 2 : In den Diensten des Blutmagiers

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